Was ist ein Bot?
Bot (Ableitung von engl. robot) ist die umgangssprachliche Bezeichnung für „software agents“, also Computerprogramme, die auf Anweisung eines Menschen oder eines anderen Programms agieren. Die Aktionen von Bots bestehen im Durchführen vordefinierter Aufgaben, die aber nicht nur auf digitaler Ebene, sondern auch in der Interaktion mit menschlichen Akteuren erfolgen können. Diese ist nicht nur auf Tastatureingaben beschränkt, sondern kann auch per Sprach- oder Bilderkennung geschehen. Bots charakterisiert, dass sie entweder regelmäßig zu bestimmten Zeiten oder nach Eintreten von festgelegten Bedingungen oder Kommunikationssituationen aktiv werden. Neben diesem permanenten Bereitschaftszustand wird auch das quasi-autonome Agieren und Reagieren häufig als Hauptmerkmal von Bots genannt.
Bots decken ein umfangreiches Aufgabenspektrum ab: Von oft eher simplen technischen Anforderungen wie technischen „Wartungsarbeiten“, die in Datenkorrekturen, Protokollierung und dem Auslösen von Warnungen bestehen, bis zu komplexen Verfahren zwischen Mensch und Maschine, wie sie Chatbots realisieren.
Beispiele für Bots:
Sogenannte Webcrawler durchsuchen die Texte auf Internetseiten nach Begriffen und erstellen Indizes zur Verwendung für Suchmaschinen. Suchen und Auffinden von Informationen, wie wir es von Google, Bing und Konsorten kennen, wäre im permanent wachsenden und sich verändernden Netz ohne die Automatismen solcher Bots nicht vorstellbar.
Chatbots, die ähnlich wie ein realer Ansprechpartner kommunizieren, werden häufig auf kommerziellen Webseiten eingesetzt, um Nutzern zu helfen, Vorgänge abzuwickeln und Informationen auffinden.
Bots werden auch in Computerspielen zum Einsatz gebracht: Sie können als Spielpartner oder -gegner die Rolle eines Menschen innerhalb des Spiels übernehmen. Bots werden aber auch zur Manipulation des Spielerfolgs entwickelt.
Twitterbots
Auf einigen Social-Media-Plattformen wie Twitter oder Facebook können Bots hinter Benutzerkonten stehen, Inhalte posten und auf Aktionen anderer reagieren. Besonders auf Twitter haben sich Bots etabliert, die als literarisch-künstlerisch klassifiziert werden können. Die Bandbreite reicht dabei von simplen Retweets aus literarischen Werken bis hin zu Neukompositionen mit Hilfe von Verfahren Künstlicher Intelligenz.
Ranjit Bhatnagars Pentametron gehört zu den bekanntesten Literaturbots: Pentametron selektiert aktuelle Tweets nach Kriterium, ob sie das Versmaß des Pentameters erfüllen und fünfhebige Jamben sind. Jeder Pentameter wird mit einem sich reimenden zweiten aus einem anderen Tweet kombiniert und nacheinander retweetet. Meist zufällig metrische Postings werden so in der lyrischen Form von Shakespeare-Sonnetten rekontextualisiert. Zur programmtechnischen Identifikation von Metrum und Reim nutzt Bhatnagar ein Aussprachewörterbuch mit phonetischer Umschrift. Pentametron fand nicht nur zahlreiche menschliche Follower, er interagierte auch mit anderen Bots wie Stupidcounter (der Zahlwörter tweetet), was wiederum von „Ember Nickel“ in Form einer Liebesgeschichte präsentiert wurde.
Das Projekt @hermeneuPy
Ein Team von Studierenden der Fernuni Hagen (Elisabeth Dorothea Koch, Lucile Monet-zur Kammer, Rita Pani, Michael Britsch, Helmut Hofbauer, Wolf Peterson) hat den Twitterbot @hermeneuPy entwickelt. Der Bot agiert begleitend zur Jahreskonferenz „Digitale Hermeneutik“ des FSP digitale_kultur. Er widmet sich einem Kernthema der Hermeneutik, dem Übersetzen: Im Internet stehen mittlerweile zahlreiche Übersetzungsprogramme zur Verfügung, die über Benutzeroberflächen oder Programmierschnittstellen aufgerufen werden können. Die zugrundeliegende Technologie nutzt Machine-Learning-Verfahren, die meist mit dem Sammelbegriff KI (Künstliche Intelligenz) bezeichnet werden. Als Grundlage des Trainings der Netze werden extrem umfangreiche Sammlungen von bestehenden, von menschlichen Übersetzern bereits erstellten Übersetzungen herangezogen. Das optimierte Netz kann im Anschluß Muster nicht nur auf Wortebene, sondern auch in größeren semantischen Einheiten identifizieren, so dass grammatikalisch richtige und inhaltlich zumindest wahrscheinliche Formulierungen in anderen Sprachen abgebildet werden. Dieses Verfahren weicht von den Ansätzen der klassischen Hermeneutik ab, die das Textverständnis als Voraussetzung für eine richtige Übersetzung postulieren – wie etwa von Gadamer formuliert, der von einem kontinuierlich zu entwickelnden und zu verbessernden Verständnis eines Textes als Grundlage für das Übersetzen ausgeht.
Der Twitterbot verwendet gängige Übersetzungsprogramme (Google Translate, DeepL), um Texte im übersetzerischen Durchgang von mehreren Sprachen in die Ausgangssprache zurückzutransponieren und die Aufmerksamkeit auf entstandene Unterschiede wie Bedeutungsverschiebungen, Verfremdungen und sprachliche Fehlgriffe zu lenken. Die ursprüngliche Anregung zum Übersetzungsprojekt (Wolf Peterson) demonstrierte dies anhand eines Kapitels aus Kafkas Schloss: Der Wechsel der Anrede von Sie auf Du, die Veränderung von Atmosphäre und Tonfall waren hier besonders auffällig. Noch stärker spezifische Differenzen zwischen einzelnen Sprachen treten hier Besonderheiten der maschinellen Übersetzung zu Tage: Die KI-Übersetzer tendieren trotz teilweise beeindruckender Leistungen zur Vereinfachung von Ausgangstexten, so werden ähnliche Formulierungen gelegentlich zu einer zusammengefasst und seltenere Begriffe – trotz sehr konkreter und spezieller Bedeutungen – durch häufigere, aber weniger passende substituiert. Auch poetische Formulierungen werden häufig auf eine versachlichte Kernaussage reduziert.
Der Twitterbot agiert auf zweierlei Arten:
1. Interaktiv
Der hermeneutische Bot reagiert auf Mentions @hermeneuPy und Hashtags #hermeneuPy. Er übersetzt jeden Tweet, der diesen Hashtag oder Mention enthält auf unterschiedlichen Routen, die persönlichen, kollektiven oder symbolischen Reisen folgen. Am Ende wird dann der Text wieder in die Ausgangssprache zurückübersetzt und als „Quote“ bzw. „Zitat“ vom Bot retweetet.
Im Bild der Retweet der Dichtung eines anderen Bots:
Die Auswahl der Übersetzungsroute wird vom Zufall bestimmt. Ein Folgetweet erklärt die Route und ergänzt sie mit einer Karte. Die Karte (ohne Route) sind Public Domain, u.a. aus Wikimedia Commons entnommen. Folgende Routen sind vordefiniert:
Eine Schiffsreise auf der Donau, internationale Kulturkontakte im Sinne von Urs Bitterli, die Gewinnerländer des ESC, Wege der Religion und der Philosophie, Fluchtwege über den Balkan und das Mittelmeer, Stationen der Vita von Josephine Baker, Tove Jansson und Walter Benjamin.
Der Bot wurde in Python programmiert und nutzt die APIs der Übersetzungsprogramme bzw. von Twitter.
2. selbständig agierend
@hermeneuPy übersetzt auch selbstständig aus festen Textquellen (jeweils ein Tweet pro Stunde). Dabei werden zufällig Übersetzungsrouten ausgewählt, deren Länge von der Anzahl der Worte im Ausgangssatz abhängt (Je weniger Worte, desto länger die Übersetzungsreise).
Als Textquellen für den Bot wurden verwendet:
Alle deutschen Sprichworte aus Wiktionary, die mit einem Wikipedia-Artikel verlinkt sind. Außerdem Zitate von und aus:
Susan Sonntag, Walter Benjamin, Ludwig Wittgenstein, Hans-Georg Gadamer, Otto Walkes, Nietzsche, Morgenstern, Horvath, Shakespeare, Schiller, Mörike, Hoffmann von Fallersleben, Luise Hänsel, Äsop, Schneewittchen, Casablanca, Goethe, der österreichischen Verfassung und Nationalhymne, Manos Hadjidakis, Hasek, Lichtenberg, bekannten Sprüchen, Va pensiero (aus Verdis Nabucco, Text von Temistocle Solera), Hölderlins Hälfte des Lebens und Schillers Ode an die Freude
Die Reisestationen werden in Klammern unter dem Tweet angegeben.
Der Bot @hermeneuPy soll durch seine Tweets und Reaktionen zur Reflexion über maschinelles Übersetzen, Sprachdifferenzen und mögliche Migrationsspuren in Texten und Übersetzungen anregen.
Literatur
- Baranovska, Marianna, und Stefan Höltgen. Hello, I’m Eliza: fünfzig Jahre Gespräche mit Computern. Computerarchäologie, Band 4. Bochum Freiburg: Projektverlag, 2018.
- Flores, Leonardo. Artistic and Literary Bots in: Grigar, Dene, und James O’Sullivan, Hrsg. Electronic Literature as Digital Humanities: Contexts, Forms, & Practices. Electronic Literature, volume 2. New York London Oxford New Delhi Sydney: Bloomsbury Academic, 2021.
- Passig, Kathrin. Vielleicht ist das neu und erfreulich: Technik, Literatur, Kritik. Grazer Vorlesungen zur Kunst des Schreibens, Band 2. Graz Wien: Literaturverlag Droschl, 2019.
- Veale, Tony, und Mike Cook. Twitterbots: making machines that make meanings. Cambridge, MA: The MIT Press, 2018.
Bearbeitet von
Helmut Hofbauer